DIE SEISMIC FORM

 
 

DIE SEISMISCHE FORM THE SEISMIC FORM

16mm, 2020, 15min, sound, color

Eine Welt aus schwarzem Sand glitzert und wogt. Flüssige Lava schießt hervor. Stufen in weißem, glattem Gestein rufen die Veränderlichkeit des Materials in stete Erinnerung. Die Welt von The Seismic Form besteht aus taktilen, strukturierten Oberflächen, an denen sich das Licht brillant bricht. So solide diese Flächen und Konturen im Augenblick auch erscheinen mögen, sie sind es nicht – noch waren sie es jemals, trotz der für uns notwendigen Wahnvorstellungen von Dauerhaftigkeit und Tiefe. Die Stille tarnt die Unberechenbarkeit und den Zusammenbruch, die immer schon als unmittelbare immanente Möglichkeit vorhanden waren. Dies ist der Boden, der kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Seismische Bewegungen sind das "Requiem der Infrastruktur", sagte der französische Poststrukturalist Jean Baudrillard. Seine Gedanken über die Art der Katastrophe, die Pompeji verschüttet hat, hören wir im Voice - Over. Die tödliche Präsenz des Vesuvs verleiht der Stadt "den Charme einer Halluzination" – eine Beschreibung, die wir auch auf den Film selbst anwenden könnten. Latente Gefahr und dynamische Bedeutungsverschiebung charakterisieren ein traumähnliches Universum, das uns trotz seiner Bizarrheit und Unergründlichkeit in seinen Bann zieht.

Unter dem Sand liegt ein Mann, bis auf sein Gesicht und seine sich herausstreckende muskulöse Zunge, begraben. Körper posieren stumm, fast skulptural, und doch aufgeladen mit erotischer Lebendigkeit, wie Echos der physischen Umgebung und ihrer großartigen Fähigkeit zu Erdbeben. Selbst inmitten anmutiger, eleganter Steinbögen, die die nackte Form beherbergen, wissen wir, dass eines Tages nur noch Ruinen dieser harmonischen Ordnung übrigbleiben werden, gleich wie das Alter auf den Verfall wartet.

Aber im Angesicht der Unvermeidlichkeit scheint Schrecken etwas für Zartbesaitete. Der Mann bleibt ruhig und gelassen, eine Python umkreist sein Gesicht. Es ist ein ebenso beunruhigendes wie esoterisches Bild. Die Spannung wird durch ihre buchstäbliche Mechanik (eine Verhandlung oder ein Werben um tödliche Intimität für die Nahrung der Kunst) hervorgerufen, während sie die Macht eines Talismans ausstrahlt. Die Konfiguration spiegelt den Ouroboros wider: das alte alchemistische Symbol einer Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst, um die Ganzheit zu kennzeichnen, und die Unordnung, integraler Bestandteil der Wiedergeburt und der ewigen Erneuerung. Er kehrt auf Papier wieder, dreht sich wie ein Rad und ist Teil des unendlichen Zyklus der Bedeutungen des Kinos.

In diesem Film mit numerischen Kapiteln wird jede Ziffer auf dem Bildschirm von dem verdrängt, was sie nicht ist. Unterschiedliche Ziffern in verschiedenen Sprachen werden ausgesprochen und kündigen die bevorstehende Ersetzung und den Untergang einzelner Signifikanten innerhalb eines größeren Systems an, so wie jedes Filmbild das vorhergehende unterbricht und in den Hintergrund drängt, ebenso wie die Zeit sich ständig erneuert. Das Kino von Antoinette Zwirchmayr ist seit jeher ein Kino der Multivalenz, in dem die Macht, das Bild zu definieren, nie leicht oder lange selbstverständlich war, und wo konkurrierende Bedeutungen in Abwesenheit eines linearen Ordnungsprinzips nahe beieinander schweben. Verführerische Anziehungskraft und distanzierende Zweideutigkeit nehmen ein und denselben Raum ein, in einem assoziativen Universum aus veränderlicher Illusion und verdunkeltem Kontext, einem Ort der ständigen Erneuerung. Bedeutung und Schönheit werden ständig wiedergewonnen und zerstört, in ihren Filmen wie bei Baudrillards Ruinen.

Wie der Philosoph es ausdrückte: "Wir können nicht mehr die Sterne oder den Himmel beobachten; wir müssen jetzt die unterirdischen Gottheiten beobachten, die uns mit einem Sturz ins Nichts bedrohen.“

A terrain of wet pebbles glitters and undulates. Molten lava spurts. Grooves in white, smooth rock recall the material’s own mutability. The world of The Seismic Form is one of tactile, textured surfaces, brilliantly responsive to light. As solid as these planes and contours may seem in a moment, they are not stable ⁠— nor, despite our necessary delusions of permanence and depth, were they ever. Stillness masks volatility, and the collapse that is always already present as imminent possibility. This is ground on the verge.

Seismic movements are the “infrastructure’s requiem”, said French post-structuralist Jean Baudrillard. His musings on the kind of catastrophe that buried Pompeii are read from in voice-over. The deadly presence of Mount Vesuvius gives the city “the charm of a hallucination,” we hear ⁠— a description we might also apply to the film itself. Latent danger and dynamic meaning slippage characterise a dreamlike universe as oblique and unfathomable as it is alluring.

Under sand, a man lies buried, all but his face and his extended, muscular tongue in movement. Bodies are posed, sculptural almost, yet alive with erotic charge, echoes of the physical environment and its magnificent capacity for earthquakes. Even amid graceful stone architecture of elegant arches which complements the naked form, we know that ruins some day await this harmonious order, just as age brings decay.

But terror is for the fainthearted, it seems, in the face of inevitability. The man remains calm and composed, a python encircling his face. It’s an image as unnerving as it is esoteric. Suspense is provoked by its literal mechanics (a negotiation or courtship of fatal intimacy for the nourishment of art), while it emits its talismanic power. The configuration mirrors the Ouroboros: the ancient alchemist symbol of a serpent eating its own tail to denote wholeness, and the disorder integral to rebirth and eternal renewal. It recurs on paper, revolving like a wheel, part of cinema’s infinite loop of meanings.

In this film of numbered chapters, each numerical cipher on the screen is crowded out by what it is not. Differing digits in various languages are voiced, heralding the imminent replacement and demise of discrete signifiers within a wider system, just as each film frame disrupts and eclipses the previous, and just as time renews itself. Antoinette Zwirchmayr’s cinema has always been one of multivalence, in which the power to define the image is never granted easily or for long, and competing meanings hover close in the absence of any linear ordering principle. Seductive allure and distancing ambiguity occupy one and the same space in an associative universe of changeable illusion and obscured context, a site of constant remaking. Meaning and beauty are constantly regained and destroyed, in her films as with Baudrillard’s ruins. As the philosopher put it: “We can no longer observe the stars or the sky; we must now observe the subterranean deities that threaten a collapse into the void.”

TEXT Carmen Gray ÜBERSETZUNG | TRANSLATION Johannes Gerhart

REGIE | DIRECTOR Antoinette Zwirchmayr CAST Johannes Gerhart, Eryca Green TEXT Jean Baudrillard BILDGESTALTUNG | DOP Antoinette Zwirchmayr TONGESTALTUNG | SOUND DESIGN Matthias Peyker STIMME | VOICEOVER Sona MacDonald, Stephan Mathewson, Andreas Pasqualini FARBKORREKTUR | COLOR GRADING The Grand Post